Meine Freundin und ich sind im Wald. Wir laufen, reden und es ist Endspurt angesagt mit Anstieg auf unseren Lieblingshügel. Wir atmen schneller und kräftiger, ich schnaube förmlich wie ein Pferd…
Ausgerechnet jetzt kommt mir die Idee. Ich rufe fragend: „Was ist der Unterschied zwischen Yoga und Sport?“ Sie antwortet: „Jetzt nicht!“ Ich trieze Sie gern, liebevoll…
Oben angekommen stelle ich die Frage nochmal: „Was ist der Unterschied zwischen Yoga und Sport?“
Sie antwortet: „Es gibt keinen. Yoga ist Sport, oder?“
Ich:“ Oder?!“ Sie darauf: „Der geistige Aspekt.“
Ich: „Ein Hochleistungssportler hat auch einen geistigen Aspekt genauso wie Karate, KungFu…“
Meine Freundin: „Die geistige, seelische und körperliche Ebene in Einheit?“
Ich: „Das kann ein Hochsprung Athlet auch haben aber nicht schlecht.“
Ich spann euch nicht weiter auf die lange Folter. Es gibt nur einen einzigen Unterschied, der ist aber von großer Bedeutung für jede Yogapraxis. Aufgepasst.
„Sport ist Bewegung, dann Atem. Yoga ist erst Atem, dann Bewegung.“ Hört sich ziemlich einfach an. Die Praxis sieht anders aus wenn man bedenkt wie verhaftet die Yogabranche in den Asanas (Haltung, Position) ist. Das ist aber ein anderes Thema. Sicherlich einen weiteren Artikel wert.
Im Buch, Licht auf Pranayama von B.K.S. Iyengar wird auf 352 Seiten allein das Thema Atmung meisterhaft beschrieben. Ich kenne nicht viele solcher Fachwerke.
Iyengar erklärt in seinem Werk das wenn ein Mensch den Pfad des Yoga beschreiten will, er zunächst die Identifkationen mit seinem Körper-Leben-Geisteskraft und seinem Ego betrachten muss. Hierzu kommt dem Pranayama (Verlängerung und Zähmung des Atems) im Yoga eine besondere Bedeutung zu. Das Pranayama verfügt über zahlreiche Techniken, die die Atemorgane intensiv bewegen, reinigen und dehnen.
Puraka (Einatem) bringt den Körper in Schwung, Rechaka (Ausatem) führt Giftstoffe und verbrauchte Luft ab, Kumbhaka (Atemhalten) verteilt die Energie im ganzen Körper. Die Bewegung der Energie erfolgt waagrecht dehnend, horizontal ziehend und umfangserweiterend in Lunge und Brustkorb. Diese disziplinierte Kunst des Atems führt zur inneren Sammlung, reguliert alle Gedanken, verschafft Ausgeglichenheit und verleiht dem Sadhaka eine Willenskraft, die jeder braucht, der sein eigener MEISTER werden will (Iyengar, 2001, S. 39).
Bereits in der Hathayogapradipika heißt es: „Ist der Atem ungleichmäßig, so schweift das Denken ab, ist der Atem stetig, so auch das Denken. […]Solange der Atem im Leibe wohnt, ist Leben da. Schwindet der Atem, so schwindet das Leben. Daher lenke deinen Atem.“
Wie atmest du wenn du dich streitest? Wie atmest du wenn du Auto fährst? Welche Spannung hat deine Gesichtsmuskulatur, der Unterkiefer? Wie atmest du beim Essen? Wie atmest du wenn du von der Arbeit kommst und dein Zuhause betrittst? Wie atmest du in einer Warteschlange im Supermarkt?
Nebenbei reinigt und entgiftet Pranayama all deine Gefäße und verhindert den Verfall, was eine Veränderung der inneren Einstellung nach sich zieht. Wer fühlt sich nicht wie eine junge Gazelle nach einer Verjüngungskur. Mithilfe der Atemhilfsmuskeln entspannen sich Nacken und Gesichtsmuskulatur. Spannungen um Augen, Ohren, Nase, Zunge und Haut lösen sich wodurch die Anspannung im Gehirn ebenso nachlässt. Wenn an der Stelle des Gehirns sich Spannung löst, gelangt der Sadhaka (Suchender, Strebender) zu Gleichmut, Gelassenheit und einem festen Fokus im Leben.
Iyengar betont das dass Üben der Asanas dazu da ist um Hindernisse zu beseitigen, die den Fluss des Prana (Atem, Hauch, Leben, Elan, Energie oder Stärke) einschränken. Wiederum das Üben von Pranayama reguliert den Fluss des Prana im GESAMTEN Körper.
Die acht Stufen des Yoga (Yama, Niyama, Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana und Samadhi) sind somit INEINANDER VERWOBEN so wie ein Baum der aus Wurzeln, Stamm, Ästen, Blättern, Blüten und Früchten besteht. Jedes Baumelement ist besonders, aber keins davon kann aus sich heraus ein Baum werden. So steht es auch im Yoga.
Was bringt dir also die schönste Meditation oder Asana (Haltung) wenn du nicht bewusst atmest und die Energie zielgerichtet lenkst? Was hat es dir gebracht, wenn du wieder nachhause gehst und gleich in der nächsten Stresssituation genauso handelst wie zuvor? Unter Stress atmen wir oft flach, stockend, kurz, schnappend und verlieren uns in einem Sprudel von Emotionen, die dich letztendlich zum eigenen Sklaven machen. Wie oft habe ich in den Kursen erlebt das, dass nach den Asanas manche Schüler aufstehen und gehen. Endentspannung, Atmung und Meditation ist wohl nur was für die Langweiler…
Beobachte dich das nächste Mal, mach dich zum eigenen Experiment, notier den Unterschied wenn du in einer eng gewordenen Situation bewusst extra, lange, gleichmäßige und tiefe Atemzüge unternimmst und Herr der Situation bleibst.
Ich hoffe dich heute wieder etwas verdorben zu haben wenn es darum geht, was du glaubst zu wissen und was nicht.
